Zur Geschichte des KINDL
Seit 2016 zeigt das KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst als Produktions- und Diskussionsort für zeitgenössische Kunst wechselnde Ausstellungen internationaler Gegenwartskunst. Das Zentrum befindet sich an einem geschichtsträchtigen Ort – die historischen Spuren der ehemaligen Bierbrauerei sind in vielen Bereichen des Gebäudes noch immer sichtbar. So erinnern die charakteristischen Sudpfannen sowie das imposante Kesselhaus, das heute als Ausstellungsort dient, an die industrielle Vergangenheit und verleihen dem Gebäude seinen einzigartigen Charme.
Gründung und frühe Jahre der Brauerei
Vor dem Hintergrund der rasanten Industrialisierung und Urbanisierung, die kurz nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs in Berlin einsetzte, gründeten Berliner Gastwirte am 1. Februar 1872 in Rixdorf – dem heutigen Neukölln – die „Vereinsbrauerei Berliner Gastwirte zu Berlin AG“. Die Brauerei war eine der Produktionsstätten, die untergäriges Lagerbier nach Pilsener Art braute, und profitierte schnell von der steigenden Nachfrage. Das „Berliner Kindl“ war eines von mehreren Bieren im Portfolio und erfreute sich großer Beliebtheit, was dazu führte, dass 1910 die Umbenennung in „Berliner Kindl Brauerei AG“ erfolgte. Das Markenzeichen – der „Goldjunge“ im Bierkrug – wurde vom Schöneberger Künstler Georg Räder entworfen und erwies sich als ausgesprochen wirkungsvolles Werbemittel für die Brauerei. Noch heute ist das Emblem des „Goldjungen“ an der Klinke der Eingangstür in den Turm unter dem Spitzbogen zu finden.
Erweiterung und wirtschaftlicher Boom in den 1920er Jahren
Die 1920er Jahre brachten für die Brauerei eine Zeit des Wachstums. Die spürbare Expansion mündete in den Bau eines hochmodernen Brauereikomplexes. Das Sudhaus, das ab 1927 nach Plänen der Architekten Hans Claus und Richard Schepke errichtet wurde, beeindruckt bis heute durch seine expressionistische Architektur. Damals wurde es als eines der schönsten Sudhäuser Europas beworben. Der 38 Meter hohe Turm, der an Sakralbauten erinnert, wurde zum Wahrzeichen der Brauerei. Die einzigartige Innenarchitektur, mit den aus graublauem Marmor ausgekleideten Wänden, den aufwendigen Bodenmosaiken und den mit farbigem Kristallglas ausgestatteten Fenstern, spiegelte die wirtschaftliche Stärke und Modernität der Brauerei wider.
Der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit
Bereits seit 1937 führte die Brauerei die Auszeichnung „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. 1944 wurde der Brauereistandort durch alliierte Luftangriffe schwer beschädigt, 1945 wurden Teile der technischen Anlage im Rahmen von Reparationszahlungen demontiert und nach Moskau gebracht. Nach Ende des Krieges erfolgte 1947 eine bescheidene Wiederaufnahme des Brauereibetriebs. In den 1950er Jahren begann der Wiederaufbau und die Modernisierung des Gebäudes. Unter der Leitung des Kinoarchitekten Gerhard Fritsche, der auch das Foyer des bekannten Berliner Filmtheaters „Zoo Palast“ gestaltete, wurde die Innenarchitektur des Sudhauses neu entworfen. Dieses wurde mit Materialien wie Kupfer, Messing, Weißmetall, fränkischem Jura-Kalkstein und elfenbeinartigen Detopak-Glaskeramikfliesen an den Wänden zu einem hellen Raum umgestaltet, der fortan einen Kontrast zu der expressionistischen Architektur im Außen bildete.
Schließung des Standortes und Transformation zum Kunstzentrum
Ab den 1990er Jahren verringerte die Brauerei ihre Produktionskapazitäten, und 2006 wurde die Neuköllner Produktionsstätte endgültig stillgelegt. Der Verlust von 160 Arbeitsplätzen war ein schwerer Schlag für den Bezirk. Der Standort wurde temporär von der Kunst- und Clubszene als Kulturraum entdeckt. Der Bezirk Neukölln strebte eine dauerhafte Nutzung als öffentlich zugänglicher Kulturort unter der Wahrung von Denkmalschutzauflagen an.
2011 erwarben das Schweizer Paar Salome Grisard und Burkhard Varnholt das denkmalgeschützte Gebäude und entwickelten in Zusammenarbeit mit Gründungsdirektor Andreas Fiedler das heutige KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst. Die Architektur wurde behutsam restauriert und durch zeitgenössische Eingriffe erweitert. Dazu zählt auch das Treppenhaus aus Sichtbeton und Glas an der Ostseite der Fassade, das von der Architektin Salome Grisard entworfen wurde und einen großartigen Ausblick über Berlin bietet. Das dreistöckige Maschinenhaus wurde zu Ausstellungsflächen umgestaltet, das Sudhaus wurde als Café und Raum für Veranstaltungen umfunktioniert. Der dauerhafte Ausstellungsbetrieb unter der Leitung von Andreas Fiedler begann 2016.
Heute: Ein Zentrum für zeitgenössische Kunst
Im Jahr 2020 wurde Kathrin Becker zur künstlerischen Direktorin des Hauses berufen. Der inhaltliche Fokus der Institution liegt fortan auf dem Zusammenspiel von gesellschaftlichen Fragen und Kunst als kommunikativem Raum. Unter Beckers Leitung wurde das Diskurs- und Vermittlungsprogramm stark erweitert und mit dem M1 VideoSpace ein Präsentationsort für Bewegtbildformate und Videoarbeiten internationaler Künstler*innen geschaffen.
Der heutige Gebäudekomplex verfügt über mehr als 1.600 qm Ausstellungsfläche, die für thematische Ausstellungen und Soloprojekte genutzt werden. Für das imposante Kesselhaus mit seinen rund 20 Metern Höhe und Seitenlänge und den an den Wänden erhaltenen Spuren vorheriger Nutzung realisieren internationale Künstler*innen jährlich ortsspezifische Arbeiten. Die drei Etagen des ehemaligen Maschinenhauses bieten auf jeweils rund 400 qm Ausstellungsflächen für Einzel- und Gruppenausstellungen sowie den 2020 neu eingerichteten M1 VideoSpace. Im ehemaligen Sudhaus bewirtet das Café Babette die Besucher*innen – in den wärmeren Monaten auch im Biergarten Babette’s Garden unter schattigen Platanen auf dem Vorplatz des KINDL.